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Von news.de-Redakteur Ralf Knüfer, Bremen

Bremen ist an diesem Wahlsonntag eine Art Soziallabor mit rund 10.000 Testpersonen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik dürfen 16- und 17-Jährige an einer Landtagswahl teilnehmen. Eine news.de-Reportage aus Bremen

Der Wahlsonntag ist noch jung, aber ein Taxifahrer hat bereits gewählt. Der 47-Jährige, der ursprünglich aus der Türkei kommt, ist ziemlich in Fahrt, er lässt sich nicht lange bitten. Der CDU traue er zu, etwas zu bewegen, weil die Geld hätten, die Grünen seien «Arschlöcher», und vom Wählen mit 16 hält er gar nichts. «Die lassen sich doch etwas erzählen.» Sagt er und braust mit seinem Taxi davon.

In Bremen dürfen zum ersten Mal 16- und 17-Jährige bei einer Landtagswahl in Deutschland ihre Stimme abgeben. Bislang gab es dieses Privileg nur bei Kommunalwahlen – in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern.

Bremen ist an diesem Wahlsonntag eine Art Soziallabor mit rund 10.000 Testpersonen. So viele 16- und 17-Jährige Bremer gibt es unter den rund 500.000 Wahlberechtigten in der Hansestadt. Vor der Evangelischen Friedensgemeinde in der Humboldtstraße – im Viertel, wie die Bremer die Gegend nennen – ist die Stimmung entspannt. Man geht zur Wahl, die meisten ganz leger. Wer wählen will, muss kurz Schlange stehen, doch länger als zehn Minuten dauert es nicht.

«Können gar nicht früh genug anfangen»


Ein 44-jähriger Ingenieur im dunkelbraunen Anzug glaubt, dass 16-Jährige durch die Wahl vielleicht etwas überfordert sein könnten – das habe er zumindest gehört. Prinzipiell aber findet er das gut, er hätte sich mit 16 jedenfalls darüber gefreut. Ein 58-jährige Bremerin sagt, dass junge Leute gar nicht früh genug damit anfangen könnten, sich für Politik zu interessieren. Deswegen ist sie dafür, dass 16-Jährige wählen, auch wenn die Jungwähler nicht gerade einen beispielhaften Triumphzug gegen Wählermüdigkeit abhalten werden. Dann wählen sie eben beim nächsten Mal.

Der Bremer Wahlforscher Lothar Probst rechnet mit einer Wahlbeteiligung der 16- bis 17-Jährigen von etwas mehr als 40 Prozent. Nicht gerade umwerfend. Aber das war die Wahlbeteiligung in Bremen schon bei der vergangenen Bürgerschaftswahl 2007 nicht. Da stürzte die Wahlbeteiligung so tief wie nie zuvor seit 1947. Nach Angaben des Statistischen Landesamtes waren es 56,3 Prozent. Gerade junge Wahlberechtigte scheuten den Gang in die Wahlkabine. In der Altersschicht von 18 bis 20 Jahren beteiligten sich nur 46,2 Prozent. Von den 25 bis 29-jährigen gaben sogar nur 37,9 Prozent ihre Stimme ab.

Oskar ist 16 Jahre und hat gerade zum ersten Mal gewählt. Er nimmt’s lässig, und er findet’s gut. Für den Gang an die Wahlurne hat er nicht einmal die Sonnenbrille abgesetzt. Er geht auf das Hermann-Böse-Gymnasium und berichtet, wie er sich auf die Wahl vorbereitet habe. In der Schule hätten sie Referate über die Parteien gehalten, den Wahlomat der Bundeszentrale für politische Bildung hätte er durchgespielt und im Internet noch einmal die Programme der Parteien gelesen. Er glaubt, dass alle in seiner Klasse wählen werden.

Hannes sagt, was er «voll Scheiße» findet

Noch nie hat eine Bürgerschaftswahl für so rege Betriebsamkeit an Bremer Schulen gesorgt. Hannes Jo Rühle ist gerade 18 geworden und besucht das Kippenberg Gymnasium im Stadtteil Schwachhausen. Die Schüler hätten sich seit Weihnachten auf die Wahl vorbereitet. Sie organisierten Interviews und Podiumsdiskussionen mit Abgeordneten der Bürgerschaft, sie stellten eine Ausstellung auf die Beine und rappten sogar.

Hannes sagt, was ihn stört, was er «voll Scheiße» findet. Wenn er Leute höre, die sich über die Politik beschwerten, und wenn er sie dann frage, ob sie denn gewählt hätten, käme ein Nein. Dabei lässt er eine leere Flasche Eistee auf den Kopf eines imaginierten Nicht-Wählers hinuntersausen: «Plopp!»

Ein kleiner Schlag in den Nacken ist auch der Rap, den er mit ein paar Freunden und Mitschülern aufgenommen hat. Beschrieben wird eine Läuterung. In der ersten Strophe geht es um die Politikverdrossenheit eines jungen Menschen, in der zweiten spricht ein Lehrer, in der dritten ein Schüler, der im Wahlrecht auch seine Chancen auf Beteiligung erkennt. Seine Botschaft lautet: Beschwere dich nicht, wenn du dich nicht beteiligst.

Dabei hat Hannes alles andere als ein plattes Demokratieverständnis. Es beschränkt sich nicht auf Wahlen allein. Er wünscht sich mehr direkte Demokratie. Und er fordert mehr Mitbestimmung, gerade in der Schule. Da fängt für ihn die Demokratie an. Bei Veränderungen gehörten auch die Schüler gefragt.

Illusionen macht er sich dennoch nicht. Jugendliche würden sich eher engagieren, wenn sie keine langen Verpflichtungen eingehen müssten. Projekte wären da genau richtig. Er ist auch nicht der Typ Klassensprecher. Er ist mit seiner unter den Knien abgeschnittenen Jeans, den Sneakern, der Trainingsjacke und dem Basecap eher so eine Art Vorzeigedemokrat. Er kann sich jedenfalls keine andere Herrschaftsform als Demokratie vorstellen. Und was mit der Jugend los ist, überrascht ihn ein bisschen, aber es freut ihn auch. Er nennt es eine «linke Welle». Am gutbürgerlichen Kippenberg-Gymnasium hätten die Grünen bei den Juniorwahlen am Donnerstag die absolute Mehrheit erreicht.


Siehe auch die Reportage vom Wahlabend: Bremens Grüne: «2013 putzen wir die Schwarz-­Gelben weg»

Berichterstattung vor der Wahl: Rot-Grün ohne Gegner, „Wir haben die Gesellschaft verändert“