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Sprachschwierigkeiten und Unverständnis bei der Razzia gegen illegale Händler am Krempelmarkt  ■ Von Ralf Knüfer

„Nix handeln hier, klar!“ Der Polizeibeamte zeigt auf die prall gefüllte Reisetasche einer 43jährigen Polin. Mit dem Zeigefinger wedelt er hin und her, seine Worte unterstreichend. Die Polin zuckt mit den Achseln, knüllt den bunten Pulli, den sie feilgeboten hat, zusammen, hebt die Tasche auf und zieht weiter auf dem Bürgersteig des Reichpietschufers vor dem Krempelmarkt. Später sagt sie in gebrochenem Deutsch, sie verstehe nicht, warum die Polizei den Polen auf einmal den Handel verbiete. In ihrer Tasche hat sie Krimskrams, meist Kleidungsstücke, selbstgestrickte Pullover, Socken und Handschuhe.

Die Polizei rückte am Samstag morgen um sieben Uhr zu dem angekündigten Großeinsatz vor dem Krempelmarkt mit rund hundert Beamten an, um „das Schmuddelareal kurzfristig zu sanieren“, wie es der Staatssekretär der Senatsinnenverwaltung, Eike Lancelle, ausgedrückt hatte. Illegale Händler sollten damit verscheucht werden. Es ist ein Ameisenhandel, der dort zumeist von Polen betrieben wird: Fast alles gibt es zu kaufen, aber nichts in großen Mengen – Schmuck, Uhren, Kleidung, Feuerzeuge, Zigaretten zum Stangenpreis von 25 Mark. Um zehn Uhr ist das Reichpietschufer ungewöhnlich menschenleer für einen Samstagmorgen. Die Besucher müssen sich nicht, wie sonst üblich, an einer dichten Menschenkette von Händlern entlangschieben. Nur ein Mann in einem weißen Kittel bietet an der Ecke Köthener Straße Bockwürste an. Gelegentlich haucht einem ein Entgegenkommender im Vorbeigehen den Namen einer Zigarettenmarke und eine Preisangabe ins Ohr. Kurz bilden sich manchmal Menschentrauben, um die neue Lage zu diskutieren oder um doch in einem engen Kreis zu einem schnellen Geschäft zu kommen.

„Mama“, brüllt ein ungefähr vierzigjähriger Pole über den Bürgersteig des Reichpietschufers.

Vor dem Krempelmarkt protestieren AntirassistInnen mit Plakaten und Flugblättern gegen die Aktion der Senatsinnenverwaltung. Mit Polizeieinsätzen wie diesen würden rassistische Vorurteile „umgesetzt“ und alle polnischen TouristInnen pauschal zu „Schwarzhändlern, Hehlern und Steuerbetrügern“ erklärt. Die Polizei gibt sich redlich Mühe, ihre Aktion zu rechtfertigen. Ein dreisprachiges Flugblatt – in deutsch, türkisch und polnisch – beginnt großspurig mit „Liebe Mitbürger“ und hebt dann zum unmißverständlichen Text an: „Die Einfuhr von unverzollten Waren ist strafbar und wird konsequent verfolgt.“ Ein polnische Frau lacht, zeigt auf das Flugblatt der Polizei und sagt: „Ich verstehen.“ Ob ihr der Inhalt auch gefalle – diese Frage beantwortet sie nicht.

Den Verständigungsschwierigkeiten versucht die Polizei durch regelmäßige Durchsagen von einem Lautsprecherwagen beizukommen. Aber es ist nicht nur die Sprachbarriere, die zu blankem Unverständnis zwischen den Menschen führt. Ein deutscher Schmuckhändler weigert sich auf Nachfrage zweier Polizisten, seinen Gewerbeschein vorzuzeigen. „Ich kenn nämlich die Gesetze. Die brauchen sie mir nicht zu erklären“, schnauzt er die Beamten an. „Einpacken oder mitkommen!“ lautet die lapidare Antwort. Ein Beamter fordert den Mannschaftswagen an. In einer Art multikultureller Solidarität warnt ein Brasilianer den Deutschen: „You lose the job, man!“ Das bekehrt den Deutschen, der Brasilianer hilft ihm beim Einpacken, und die Polizisten sind zufrieden.

„Mama“, brüllt ein ungefähr vierzigjähriger Pole über den Bürgersteig des Reichpietschufers. Zwei Beamte haben ihn angehalten und sind gerade dabei, seine fliederfarbene Sporttasche zu durchwühlen. Mama erhört ihn erst nach mehrmaligem Gezeter. Sie zückt die Papiere und beschwichtigt die Männer in Grün in flüssigem Deutsch. Einer der Beamten spricht eine deutliche Sprache: „Wenn wir ihn noch mal erwischen, fährt er nach Hause, aber mit uns. Also verschwinden sie!“ Auf die Fragen der Presse, wie sie die Behandlung findet, sagt sie: „Die Polizei ist gut, alles ist gut“, und eilt von dannen.

Der Polizist antwortet: „Meinen Sie, ich mache das hier gerne?“

Ein 55jähriger Berliner hält den Polizeieinsatz für eine Art Beschäftigungstherapie: „Die Polen stören doch niemanden. Die 500 Leutchen hier sind doch keine Konkurrenz für die Wirtschaft. Hier macht man höchstens mal ein Schnäppchen.“ Für ein ganz anderes Thema hält er den Streit um das Asylrecht. Ausländerfeindlich sei er nicht, Asylanten aber bezeichnet er trotzdem generell als Wirtschaftsflüchtlinge. „Wenn das Asylrecht nicht geändert wird, wird ganz Deutschland brennen“, prophezeit er zum Abschluß.

Bernhard Rühle, ein deutscher Jude, der den Holocaust überlebt hat, spaziert mit einem Polizisten zwischen den Menschen entlang. Für Rühle stellt die Razzia ein Ablenkungsmanöver der Politik dar, die Handlungsfähigkeit vorweisen wolle. Lächerlich sei es, „die paar Polen“ zu vertreiben, es treffe jene, die sich ein kleines Zubrot verdienen müßten. Der Polizist antwortet: „Meinen Sie, ich mache das hier gerne?“

Gegen ein Uhr nimmt das Kontingent der Polizei ab – vielleicht weil das Soll ereicht wurde. Der gestrige Polizeibericht berichtet vom Fang großer Fische: 35 Menschen wurde ihre „Freiheit entzogen“, „67.820 Zigaretten (240 Stangen), 20 Kaffeepakete und 77 Fladenbrote“ wurden sichergestellt.

Das Geschäft beginnt wieder – die Verkäufer reihen sich dort aneinander, wo die Polizei gerade nicht präsent ist. Der 50jährige Bockwurstverkäufer hat inzwischen eine Anzeige am Hals. Sein Gewerbeschein erlaubt ihm nur Bauchladenverkauf. Den schweren Kasten aber hat er auf ein kleines Tischchen gestellt. „Wir haben ihn siebenmal seit heute morgen aufgefordert, das einzuhalten“, erklärt der Beamte. Sein Vorgesetzter habe ihn schon schief angesehen. Und die fliegenden Händler, die ihren Alternativmarkt bereits um zehn Uhr in der Schöneberger Straße nahe dem U-Bahnhof Gleisdreieck eröffnet haben, kehren wahrscheinlich noch an diesem Nachmittag an ihre angestammten Plätze zurück.