2003 entwickelte ich für die Website von bpb.de „Hintergrund aktuell“ und schrieb ihn zweimal in der Woche. Die Texte griffen politische Entwicklungen auf und verwiesen auf weitere Angebote der Bundeszentrale für politische Bildung.
Text vom 3. Juli 2006: Föderalismusreform
Der Bundestag hat am vergangenen Freitag mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit die Föderalismusreform gebilligt. Stimmt am 7. Juli auch der Bundesrat zu, wäre nach zweieinhalb Jahren Verhandlungen die umfangreichste Grundgesetzänderung seit 1949 vollzogen.
Die Änderung von insgesamt 25 Artikeln des Grundgesetzes ordnet die Beziehungen zwischen Bund und Ländern neu: Mussten bislang rund 60 Prozent aller Bundesgesetze von der Länderkammer abgesegnet werden, werden in Zukunft nur noch 35 bis 40 Prozent zustimmungspflichtig sein, so der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Wolfgang Bosbach. Damit könnte der Bund in Zukunft in vielen Fällen schneller mit neuen Gesetzen auf Probleme reagieren. Außerdem würden parteipolitisch motivierte Blockaden erschwert, wenn sich in Bundestag und Bundesrat verschiedene Mehrheiten gegenüberstehen.
Atomenergie, Terrorabwehr, das Meldewesen und der Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland werden nach der Reform reine Bundesangelegenheit sein. Auch im Bereich Umwelt und Abfallwirtschaft gewinnt der Bundestag neuen Entscheidungsspielraum: Er darf ein eigenes Bundesumweltgesetz schaffen.
Im Gegenzug erhalten die Länder die alleinige Zuständigkeit für die Besoldung und Versorgung von Landesbeamten, die Raumordnung und das Heimrecht, das die Behandlung von Pflegebedürftigen bestimmt. Auch Strafvollzug und Ladenschluss regeln die Länder künftig selbst. Außerdem müssen alle Gesetze vom Bundesrat gebilligt werden, die mit zusätzlichen finanziellen Leistungen der Länder an Dritte verbunden sind.
Bis zuletzt hart umkämpft war das Feld der Bildung; an ihm war die Föderalismusreform bereits im Dezember 2004 einmal gescheitert. Der Bund behält zwar das Recht, Regelungen zu Zulassung und Abschlüssen an den Hochschulen zu beschließen. Allerdings können die Länder nun mit eigenen Gesetzen davon abweichen. Auch der Hochschulbau ist in Zukunft reine Sache der Bundesländer, ebenso wie die Schulen. Als Neuerung kommt hier das Kooperationsverbot hinzu: Gemeinsame Maßnahmen wie das Förderprogramm für Ganztagsschulen werden künftig nicht mehr möglich sein, was im Vorfeld der Abstimmung vor allem aus der SPD-Bundestagsfraktion kritisiert worden war. In letzter Minute war das Kompromisspaket im Bildungsbereich noch einmal nachgebessert worden. Bund und Länder können bei der Förderung von Vorhaben der Wissenschaft und Forschung an Hochschulen nun doch zusammenarbeiten – wenn der Bundesrat dies einstimmig billigt.
Auf zwei besonders schwierigen Feldern des deutschen Föderalismus kam keine Lösung zustande: Das Thema der Länderfusionen war gleich zu Beginn der Verhandlung auf unbestimmte Zeit auf Eis gelegt worden. Auch an der Finanzverfassung gab es nur kleine Korrekturen. Wichtigere Steuerreformen bedürfen nach wie vor der Zustimmung der Ländermehrheit, die konkreten Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern sollen erst nach der Sommerpause geklärt werden. FDP-Chef Guido Westerwelle kritisierte, eine Föderalismusreform ohne Neuordnung der Finanzen sei keine wirkliche Reform. Die drei oppositionellen Fraktionen FDP, Grüne, Linkspartei bemängelten, dass der Bund bei Strafvollzug, Heimrecht, öffentlichem Dienst und dem Bildungswesen zu viele Rechte an die Länder abgetreten habe.
Text vom 29. Juni 2006: Hartz IV in der Diskussion
Teurer als erwartet, schwere Mängel bei der Umsetzung und eine weiterhin hohe Arbeitslosigkeit: So lauten die Vorwürfe an die Arbeitsmarktreform Hartz IV fast anderthalb Jahre nach ihrem Start. Politiker beider Koalitionsparteien fordern nun eine Reform.
Die Ausgaben für Hartz IV könnten im Jahr 2006 nach Schätzungen der Großen Koalition um 2,8 Mrd. Euro höher ausfallen als die ursprünglich im Bundeshaushalt eingestellten 24,4 Mrd. Euro. Bereits im ersten Quartal dieses Jahres soll der Bund nach Medienberichten rund eine Mrd. Euro mehr für Leistungen des Arbeitslosengelds II (ALG II) ausgegeben haben als geplant.
Ein wichtiger Grund für die gestiegenen Kosten: Fast zwei Millionen Menschen mehr als erwartet haben Anspruch auf ALG II erhoben und damit der erhofften Entlastung des Staatshaushalts einen vorläufigen Riegel vorgeschoben. Dazu gehören beispielsweise Arbeitnehmer, deren Stellen so schlecht bezahlt werden, dass sie Anspruch auf ALG II haben. Seit der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe gelten darüber hinaus weit mehr Empfänger von Sozialhilfe als „arbeitsfähig“ als zuvor angenommen. Während bisher die Kommunen als Träger der Sozialhilfe für diese aufkamen, ist nun der Bund gefordert, der den größten Anteil des ALG II trägt.
Gestritten wird auch um die so genannten „Bedarfsgemeinschaften“ – Hilfebedürftige, die gemeinsam in einem Haushalt leben, können unter bestimmten Bedingungen mehrere Bedarfsgemeinschaften bilden und für jede ein eigenständiges ALG II beziehen. Politiker sehen hier offenbar eine Missbrauchsgefahr. Laut eines vertraulichen Berichts des Bundesrechnungshofes, der in mehreren Tageszeitungen publik gemacht wurde, prüften die Jobcenter nicht gründlich genug, ob ein Arbeitsloser zu Recht Anspruch auf ALG II erhebe. Der Bericht reklamierte außerdem die schlechte Betreuung der Arbeitslosen. Eine weitere Kritik lautet, dass etwa eine Millionen ALG II-Empfänger gar nicht arbeitslos sind , sondern nur so wenig verdienen, dass sie über das ALG II eine Zulage zu ihrem Lohn erhalten.
Die Hartz-Gesetze haben sich in der letzten Woche zu einem Zankapfel in der großen Koalition entwickelt. Bundeskanzlerin Angela Merkel bemerkte am Montag nach Sitzungen der CDU-Spitzengremien in Berlin, die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld sei zwar „grundlegend richtig“ gewesen. Dennoch stehe eine „grundlegende Überholung“ der Hartz IV-Reform an. Andere führende Unionspolitiker, darunter auch Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU), stimmten dem zu. SPD-Spitzen wie der Parteivorsitzende Kurt Beck räumten Korrekturbedarf ein, nannten die Unions-Kritik jedoch überzogen und lehnten einen radikalen Umbau ab.
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