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Es war die perfekte Anleitung zur Selbstbedienung aus der Steuerkasse. Ein Netzwerk aus Banken, Anwälten und Superreichen raubte über das sogenannte Dividendenstripping jahrelang die Steuerzahlenden in Deutschland und Europa aus. Im Finanzjargon heißen die Geschäfte Cum-Ex oder Cum-Cum. Der Schaden beträgt nach aktuellen Recherchen mehrerer Medien mehr als 55 Milliarden Euro.

Bei den Cum-Ex-Geschäften wurden Wertpapiere rund um den Dividendenstichtag, an dem die Ausschüttung festgelegt wird, teilweise mehrfach hin und her geschoben. Banken stellten für jeden Besitzerwechsel Bescheinigungen über Kapitalertragsteuern aus, obwohl diese nie gezahlt wurden. Beim Fiskus wurde eine Erstattung dennoch eingefordert. Im Fall von Cum-Cum-Deals schiebt ein Investor aus dem Ausland, der in Deutschland kein Recht auf die Erstattung der Kapitalertragssteuer hat, seine Wertpapiere am Stichtag gegen eine Gebühr zu einer inländischen Bank. Diese lässt sich die Kapitalertragssteuer auf die Dividenden erstatten. Hinterher werden die Aktien wieder zurückgekauft.

Bundesregierung schaute tatenlos zu

Zum Skandal gehört, dass der Steuerbetrug der Politik jahrelang bekannt war und sie dennoch nicht einschritt. In einem Schreiben aus dem Jahr 2002 wies der Bankenverband das Bundesfinanzministerium auf die Gefahren der Cum-Ex-Praxis hin – vor allem, weil ein Haftungsrisiko für Banken ausgeschlossen werden sollte. Erst 2007 reagierte die Politik und machte dabei alles falsch. Der Formulierungsvorschlag für ein neues Gesetz wurde direkt vom Bankenverband übernommen. Das Schlupfloch wurde nicht geschlossen, es sah nur anders aus. Der Untersuchungsausschuss der vergangenen Legislatur, der auch auf Betreiben der Fraktion DIE LINKE eingesetzt wurde, belegt die kalte Abzocke.

Erst 2012 dämmte die Politik die Cum-Ex-Geschäfte ein und erschwerte 2016 Cum-Cum-Geschäfte. Doch damit scheint die Masche der Steuerbetrüger noch nicht aus der Welt zu sein. Glaubt man der Rechercheuren des Mediennetzwerks um die Cum-Ex-Files, werden immer noch krumme Deals mit Aktien am Dividenstichtag betrieben. Deshalb fordert Sahra Wagenknecht, Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, in einem Beitrag in der Frankfurter Rundschau endlich entschiedenes Handeln: „Das Bundeszentralamt für Steuern muss personell aufgestockt und auf die Aufklärung großer Steuer- und Wirtschaftsverbrechen hin ausgerichtet werden. Banken, die Beihilfe zu solchen Verbrechen leisten, sollte die Lizenz entzogen werden.“

»Größter Steuerraub in der Geschichte Europas«

Der bisher entstandene Schaden ist allein für Deutschland enorm. Nach den Berechnungen des Steuerprofessors Christoph Spengel von der Universität Mannheim beläuft er sich in den Jahren zwischen 2001 und 2016 auf 31,8 Milliarden Euro. Spengel spricht vom „größten Steuerraub in der Geschichte Europas“. Demnach sind in Frankreich mindestens 17 Milliarden, in Italien 4,5 Milliarden, in Dänemark 1,7 Milliarden und in Belgien 201 Millionen zu unrecht erstattet worden.